„Die Menschen kamen, um etwas zu essen zu holen, und wurden gezielt beschossen“

 
  • Тарас Зозулінський

„Die Zerstörung war katastrophal. Häuser, Geschäfte, alles wurde zerstört. Das regionale Kinderkrankenhaus in Lysytschansk wurde bombardiert. Die Kinder wurden evakuiert, aber weder das Krankenhaus noch die Ambulanz funktionierten“ – Lysytschansk (Stadt in der Region Luhansk) war bereits 2014 unter russischer Besatzung und erlebt nun erneut die Schrecken der „russischen Welt“.

Mein Name ist Oleksandr Iltschenko. Ich bin am 2. März 1990 geboren. Seit zehn Jahren arbeite ich als Rettungssanitäter in Lysytschansk. Ich habe auch im Jahr 2014 gearbeitet, als die „russische Welt“ zum ersten Mal in unser Land kam.

2014 gab es auch keinen Strom, kein Wasser, kein Gas… Ich habe damals viel gesehen: Bombenangriffe, Beschuss usw. Ich habe den Verletzten geholfen. Jetzt bin ich nach Lwiw gezogen, weil in meiner Stadt wieder gekämpft wird.

Die Menschen verbrachten die meiste Zeit in ihren Kellern. Es gab kein Wasser, keinen Strom, kein Gas – keine Lebensbedingungen. Die Infrastruktur war fast völlig zerstört. Es gab kein Essen, kein Wasser, kein Geld. Die Menschen lebten in ständiger Angst. Wasser holten wir aus Brunnen oder Heizungen.

Haben Sie Verbrechen gegen Zivilpersonen beobachtet?

Lysytschansk wurde Tag und Nacht bombardiert. Es wurde direkt von Militärflugzeugen aus bombardiert. Warum haben sie (die Russen) das gemacht? Ich weiß es nicht.

Jeden Tag gab es Bombenangriffe. Ich wohnte im Haus Nr.20 und in der Nähe war das Haus Nr.21. Eines Tages um 6 Uhr morgens wurde eine Bombe auf das Haus Nr.21 geworfen. Ein Teil des Hauses vom zweiten bis zum vierten Stock wurde zerstört. Insgesamt wurden vermutlich zwölf Wohnungen zerstört. Das Haus sah so aus, als hätte es ein riesiger Traktor abgerissen.

In der Nähe des Hauses sind Menschen gestorben. Ich habe auch Tote gesehen: Eine Frau auf der Straße und einen Mann um die 40.

Offenbar gingen sie zum Zeitpunkt des Beschusses in der Nähe des Hauses vorbei und wurden getötet. Auch in der Nähe des Hauses Nr.24 lagen Leichen. Stellen Sie sich vor: Wir sind zum Brunnen gegangen, um Wasser zu holen, und da lagen Leichen. Und niemand hat sie weggebracht.

Durch die Bombardierung fingen die Häuser Feuer. Die Feuerwehr versuchte, die Brände zu löschen, aber was konnte ein einzelner Löschwagen ausrichten, wenn die ganze Straße brannte?

Die Zerstörungen waren katastrophal. Häuser, Geschäfte, alles wurde zerstört. Das regionale Kinderkrankenhaus in Lysytschansk wurde bombardiert. Die Kinder wurden evakuiert, aber weder das Krankenhaus noch die Ambulanz funktionierten. Die Angestellten hatten Angst, zur Arbeit zu gehen, weil sie ständig beschossen wurden.

Der vierte Stadtbezirk wurde schwer beschädigt. Die Menschen hatten sich im Keller eines neunstöckigen Gebäudes versteckt, als eine Bombe dort einschlug. Balkone wurden zerstört und Türen herausgerissen. Eine Rakete traf das Haus Nr.15, wodurch die Wände zwischen dem vierten und dritten Stock fehlten.

Auch die Berufsschulen Nr.94 und Nr.56 wurden schwer beschädigt. Sie sollen vermint worden sein.

Auch mein Bezirk wurde schwer bombardiert. Sie (die Russen) haben absichtlich auf die Gasleitungen geschossen. Eineinhalb Tage lang gab es ein furchtbares Rumpeln. Das Ergebnis war ein riesiges Loch in der Gasleitung und Flammen.

Seit Anfang März (2022) gibt es kein Wasser mehr. Dann waren Gas und Strom weg. Die Menschen machten Feuer vor ihren Häusern, um Essen zu kochen oder Wasser abzukochen. Wir sammelten Schnee zum Baden und für die Toilettenspülung. So haben wir gelebt.

Was erzählen Ihnen Ihre Freunde, die in Lysytschansk geblieben sind? Wie ist die Situation dort heute?

Es heißt, eine Rakete habe ein Zentrum für humanitäre Hilfe getroffen. Zwei- oder dreihundert Menschen standen Schlange. Denn die Menschen in Lysytschansk konnten keine Lebensmittel kaufen, selbst wenn sie Geld hatten. In der Stadt gab es keine Lebensmittel. Also standen die Menschen an, um humanitäre Hilfe zu bekommen: Hühnchen, Öl, Brot, Wasser.

Eltern mit Kleinkindern konnten dort fünf Windeln und eine Packung Babynahrung erhalten. Für die Kleinkinder war das schwierig. Einem Einjährigen kann man nicht erklären, dass es nichts zu essen gibt.

Die erste und zweite Rakete schlug in einem Wohngebiet ein. Aber die dritte und vierte Rakete schlug genau dort ein, wo die Menschen waren – in einem Kulturzentrum, in dem sich ein Zentrum für humanitäre Hilfe befand. Die Menschen rannten sofort weg und versuchten, sich irgendwo zu verstecken.

Die Menschen kamen, um etwas zu essen zu holen, und wurden gezielt beschossen.

Vor dem Krieg hatte ich alles. Jetzt lebe ich in einer fremden Stadt mit Leuten, die ich nicht kenne. Natürlich bin ich gegen das, was in meinem Land passiert. Ich bin gegen den Krieg und gegen Putin!

Das Interview wurde von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe vorbereitet und von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte übersetzt.

Taras Sosulinskij