„Die Toten lagen auf der Straße. Die Nachbarn deckten sie mit Decken zu“
- Тарас Зозулінський
„Die Bushaltestelle wurde wie eine Konservendose zertrümmert. Betonplatten flogen auf die angrenzende Straße, Granatsplitter beschädigten Häuser und Fenster. Stellen Sie sich die Wucht des Raketeneinschlags vor“, sagte eine Einwohnerin von Lysytschansk (Stadt in der Region Luhansk).
Mein Name ist Hanna Domodedowa und ich komme aus Lysytschansk. Ich bin im Kreis Troitskij geboren, aber später umgezogen. Ich habe die Landwirtschaftliche Berufsschule in Starobelsk absolviert. Später habe ich das Charkiwer Institut für Management absolviert. Vor dem Krieg habe ich in einem Geschäft gearbeitet, aber nach der Geburt meiner Tochter habe ich Mutterschaftsurlaub genommen.
Wir hatten nicht erwartet, dass der Krieg ausbrechen würde. Wir führten ein friedliches Leben. Ich hatte meine eigene Wohnung, die ich renovierte. Ich habe mein Kind geboren. Wir hatten nicht erwartet, dass unser Leben so schrecklich werden würde.
Wie haben Sie den Krieg in Lysytschansk erlebt?
In der Nacht hörten wir ein seltsames Geräusch. Dann, gegen 7 Uhr morgens, hörten wir die Pfeiftöne. Ich sah rote Streifen am Himmel.
Ich wohnte im zweiten Bezirk von Lysytschansk. Ein neunstöckiges Haus im vierten Bezirk wurde bombardiert. Die Rakete schlug mitten im Gebäude ein. Am Abend gab es weitere Explosionen. Wir hatten dort keine Militärbasen oder Ausrüstung. Aber jeden Tag und jeden Morgen waren Militärflugzeuge am Himmel, die unsere Stadt bombardierten.
Am zehnten Kriegstag war unsere Stadt fast völlig zerstört. Die Geschäfte waren geschlossen, das Wasser abgestellt. Es gab weder Strom noch Kommunikation.
Die Menschen trugen Wasser aus einem Brunnen. Ich bin mit meinem Kind zum Brunnen gegangen. Da ich keinen Mann habe, musste ich mein Kind überallhin mitnehmen. Ich konnte es bei niemandem lassen.
Dann begann der Beschuss so heftig, dass die Fenstergriffe wegflogen. Ich wohnte im Haus Nr.20 und in der Nähe das Haus Nr.21. Um 7:15 Uhr schlug eine Rakete in dieses Haus ein. Ich weiß nicht, welche Waffe sie (die Russen) benutzt haben, aber das Loch im Haus war riesig. Dann beschloss ich, die Stadt zu verlassen.
Die ganze Situation ist wirklich schrecklich. Wir sind nahe der russischen Grenze. Wir haben immer in Frieden gelebt. Wir hatten Verwandte und Freunde dort. Warum ist dieser Krieg ausgebrochen? Warum kam diese Aggression von Russland, obwohl niemand damit gerechnet hatte? Das sind doch russischsprachige Menschen wie wir! Warum schießen sie auf uns? Meine Stadt ist fast zerstört, und warum?
Haben Sie Verbrechen gegen Zivilpersonen beobachtet?
Im Leninskij Komsomol-Viertel 21 befand sich ein Wohnkomplex mit neunstöckigen Häusern. Die Rakete schlug in der Mitte des Komplexes ein. Von den sechs Häusern blieben nur zwei stehen. Eine weitere Rakete traf das Haus Nr.28 im vierten Bezirk. Als ich aus meinem Haus kam, gab es schon die ersten Opfer.
Die Toten lagen auf der Straße und die Nachbarn deckten sie mit Decken zu.
Die Bushaltestelle wurde wie eine Konservendose zertrümmert. Betonplatten flogen auf die angrenzende Straße, Granatsplitter beschädigten Häuser und Fenster. Stellen Sie sich die Wucht des Raketeneinschlags vor. Das Haus, das der Explosion am nächsten war, hatte überall Risse. Auch Schulen und Geschäfte wurden getroffen.
Im Einkaufszentrum „Donbas“ ist eine Rakete eingeschlagen. Ein großes Feuer brach aus. Der Zentralmarkt brannte zwei Tage lang. Aber das passierte, als ich die Stadt schon verlassen hatte. Neben dem Zentralmarkt standen die Häuser Nr.18, 19 und 11. Auch sie wurden von der Rakete beschädigt. Ebenso die Schulen Nr.8 und 13.
Was sagen Ihre russischen Freunde zu diesem Krieg?
Meine Freundin hat Verwandte in Russland. Sie (die Russen) verstehen gar nichts. Sie glauben nicht, dass ihre Soldaten auf uns schießen! Sie nennen es Befreiung. Wir sagen ihnen, dass sie auf uns schießen, dass wir leiden. Und sie sagen: „Das kann nicht sein, das ist Befreiung!“ Dann sage ich: „Menschen sterben! Was ist das für eine Befreiung?“
Was würden Sie den Russen gerne sagen?
Ich möchte mich nur an alle (Russen) wenden, die kämpfen. Ihr habt auch Kinder! Hört auf mit diesem Wahnsinn, wir sind alle Menschen! Schaut meine Tochter an, schaut eure Kinder an! Denkt ihr nicht an eure Kinder, wenn ihr auf uns schießt? Ihr würdet doch nicht auf eure eigenen Kinder schießen! Warum schießt ihr auf unsere Kinder? Warum schießt ihr auf uns? Warum bombardiert ihr uns? Wir haben euch nichts getan.
Das Interview wurde von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe vorbereitet und von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte übersetzt.
Taras Sosulinskij